Flensburger Tageblatt 1988

Über El Grecos Brücke zur neuen Welt

Uralt und aufregend neu ist das, was die Galerie Hansen in Süderschmedeby seit Sonntag mit auffallendem Mut zum Großformat präsentiert... Gezeigt werden Aquarelle, Gouachen und Mischtechniken von Albert Christoph Reck, einem Künstler, der aus dem engen Umfeld dieser Region hervorgegangen ist und heute (mit seiner Frau) eine Webschule im kleinen Königreich Swaziland leitet. Ein „Abenteurer“ - ganz sicher im tieferen, aber nicht unbedingt im bloß geistigen und künstlerischen Sinne.

Da drängt einer sichtbar, spürbar zurück zu den Ursprüngen. Versteckte Anklänge schimmern durch, die zeigen, wie sehr dieser Albert Christoph Reck im ganz Alten das ganz Neue sucht. Zurück bis zur Höhlenmalerei mag der angeregte Betrachter assoziieren, auf verschlungenen Pfaden kreuz und quer durch die Kunsthistorie. Und sicher wird er dabei in der Renaissance etwas länger verweilen als in anderen Epochen. Daß das alles ist trotzdem (oder grade deswegen) ganz unverwechselbar ist, gehört zur Eigen- und Besonderheit dieser Kunst, so wie Recks Liebe für's Verwirrspiel.

Sein Handwerk hat er (bevor er nach Hamburg und dann nach Paris durchbrach) von einem der dominierenden Alten dieser Region, dem vor ein paar Jahren verstorbenen Maler, Schriftstelle und Theatermann Hans Holtorf gelernt. Das freilich sieht man seinem „Indischen Grabmal“ oder seiner (noch entschieden phantastischeren) „Wetterstation“ nicht mehr an. Dafür ist das zu offenkundig Aufbruch zu neuen Ufern. Ein Kosmos der sprießenden Assoziationen und Querverbindungen tut sich auf.

Bevor wir zu „Brücke El Grecos“ kommen, die sich so schwindelerregend dehnt und windet wie fast alles auf Albert Christoph Recks wuchernden Großformaten, sei auf das Bild verwiesen, dessen Titel leitmotivisch für die ganze Ausstellung stehen könnte: „Aggressive Pflanzen“. Wilde, vorwärtsdrängende Vegetation ist's nämlich allemal – auch wo Architektur und Mensch im Mittelpunkt stehen. Das krümmt und windet, schlengelt und schnellt sich urwaldrankengleich nach vorn und nach oben – so als wollte es die Welt umarmen und den Himmel ergreifen.

Manchmal sprießt tropisch ein Lemur aus soviel Wildwuchs, der entfernt an Hieronymus Boschs greuliche Zwitterwesen erinnert. Aber dann mengt sich zugleich etwas von der zauberisch-verspielten Pop-art des Yellow-Submarine-Films mit hinein. Die Tür zum Märchen geht auf und die Hölle ist sehr, sehr fern. Lichteinfall impliziert's und Entdeckerfreude. Eine Welt, die heftig im Entstehen begriffen ist, türmt dabei fröhlich Strukturen übereinander.

Faustisch-Titanisches mag man erblicken und – manches Zarte.

Was gelegentlich als subjektivistische Geheimsprache eines sich spröde abschottenden Künstlerhirns erscheint, erweist sich bei gründlicherer Hinterfragung als konkreter geogrphischer und kulturhistorischer Hinweis. Der Titel „Ngwenya“ etwa ist kein den Betrachter narrender Code, sondern schlicht der Name eines Ortes in Swaziland. In Ngwenya war Reck am Aufbau eines „Art and Craft Centre“ beteiligt.

Das Geheimnis von „Om Mane Patme Hum“ dürfte schwieriger zu lösen sein. Nicht jeder Galeriebesucher kommt mit dem Fundus eines Sprachforschers daher.

Da sind Namen wie „Karneval aus Cap Canaveral“ oder „Zwischen den Kontinenten“ schon aufschlußreicher. Toll, die perspektivische Tiefe, die sich da überraschend im letzteren Bilde auftut! Aus endloser ferne segeln die Schiffe heran, sich in bedrohlicher Entdeckerfreude eine neue Welt zu erschließen. Auch das ist leitmotivisch: Welt im Um- und Aufbruch, Eroberung neuer Kontinente (wenn auch mehr im geistigen Sinne). Alles, was der Künstler kreiert, spiegelt Neuaufbruch wider und Schöpfungsakt.

Stilistisch, ideologisch, technisch ist das uneinordbar. Aber eine Mischtechnik wie „Am Hang“ ist man versucht, in einem mystischen Neuland irgendwo zwischen Max Beckmann und Horst Antes anzusiedeln. Ein schwer zu entschlüsselndes Bild, das aber schon als Komposition hohen ästhetischen Reiz ausstrahlt. 

Prächtig wie der Visionär Reck in „Pensionierter Caipt'n“ das Innenleben eines ganz von Vergangenheit zehrenden Mannes ausgestattet. Findet man da wohl die leuchtendsten und glühendsten Farben, so trifft man in „Visiting Wofgang Amadeus“ sicherlich die lichtesten, fröhlichsten und transparentesten. Die ganze phantastische Komposition ist erfüllt und überstrahlt vom Geist Mozart'scher Musik. Erhaben lächelt der furchtbare Leu dazwischen. Alle schauerlich-köstlichen Ungeheuer der Zauberflöte sind los.

Und gleich daneben die schon oben zitierte „Brücke El Grecos“. - Ein Brückenschlag in der Tat – hinüber in eine manieristisch überhöhte und von glühender Emphase erfüllte Welt, die allerdings deutlich an A. C. Recks eigene rührt.

Typisch für Recks Art, Originäres aus Ursprünglichem zu destillieren, ist die in matterem Ton gehaltene „Endmoräne“: In einsamer Urgestalt lagert sie in mehr gemäßer Welt. Verquerer Fremdkörper, erratischer Block und tragische Göttin. Mit dem Gesicht einer Sphinx blickt sie aus dem Bild, als wolle sie Goethes „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“ zitieren. Wolf Achilles