Hamburger Abendblatt vom 16.05.2012

Ein Leben wie ein "Ritt über den Bodensee"

16.05.2012 Heike Linde-Lembke

 

Der 90-jährige Maler Albert Christoph Reck ist wieder in seiner Heimat. Ihn prägten viele Welten. Drei Ausstellungen würdigen den Maler.

Henstedt-Ulzburg. Offen und frei wie der Wind" ist das Motto des Wanderers zwischen zwei Welten, zwischen Afrika und Alsterquelle, Swasiland und Henstedt-Ulzburg. Zwischendurch noch einmal ins ehemalige Schlesien, schließlich ist er dort geboren, Krappitz in Oberschlesien, heute Krapkowice in Polen. Das war am 25. Juli 1922.

Zwischen damals und heute liegen 90 Jahre Leben, ein "Ritt über den Bodensee", wie er einmal sagte. Ein Leben voller Abenteuer, mit guten und weniger guten Zeiten. Albert Christoph Reck aber blieb immer "offen und frei wie der Wind", und wenn ihm jemand komisch kam, schlug er dem Leben ein Schnippchen und riss aus. So wie damals, als 16-Jähriger, als er mit seiner Mutter nicht mehr konnte.

Er packte seine Sachen und heuerte bei der Handelsmarine an. Ständige Begleiter in seinem Gepäck waren und sind seine Mal- und Zeichenutensilien. Alfred Christoph Reck hat in seinem langen Leben Tausende von Bildern gemalt und gezeichnet, am liebsten im ganz großen Format.

Jetzt ist er wieder angekommen in seiner Zwischen-Heimat und hat in Henstedt-Ulzburg neben der Alsterquelle mit seiner Ehefrau Maria-Louise ein Haus bezogen. Nicht seines, das er 1970 baute. Das hat er schon lange verkauft. Dort wohnt jetzt Henstedt-Ulzburgs derzeitige Bürgermeisterin Elisabeth von Bressensdorf.

Die jetzige Rückkehr des Malers blieb vielen Menschen nicht verborgen, und sie organisieren zum 90. Geburtstag von Henstedts berühmtem Künstler drei Ausstellungen. Die erste Vernissage ist am Sonnabend, 19. Mai, 15 Uhr, in der Kulturkate am Beckersberg in Henstedt-Ulzburg.

Schon während seiner Studienzeit von 1948 bis 1950 in der legendären Grafik-Klasse Alfred Mahlaus an der Hamburger Landeskunstschule am Lerchenfeld machte sich Albert Reck einen Namen und erhielt viele Stipendien im In- und Ausland, darunter an der École des Beaux Art in Paris. 1955 zeichnete ihn der Hamburger Senat mit dem Alfred-Lichtwark-Stipendium aus.

Und trotzdem: Albert Reck behagte der Hamburger Kunst-Betrieb nicht. Zu abgehoben, zu genial. Seine Kommilitonen wurden berühmter als er, darunter Vicco von Bülow alias Loriot und Horst Janssen. Sie setzten auf Genialität, Albert Reck setzte auf gute Bilder. Er wollte keine Spitzenwerke malen. Er vertrat den Standpunkt, dass das Oeuvre von Spitzenbilder-Malern eher klein ist. Er wollte ein Werk mit großer Breitenwirkung und gleichbleibender Qualität.

Es zog ihn fort, weg von den genialen Mit-Studenten. Ein Schiffsreise-Stipendium brachte ihn 1962 erstmals nach Südafrika. Das Land faszinierte ihn, und ein Jahr später zog er mit seiner Familie, seiner Ehefrau Maria-Louise und den ersten Kindern Eleonora Maria, Christoph Adolph, Michael Bonaventura, Genoveva Johanna, Bernhard Valentin und Maria-Anna Alexandra nach Johannesburg. 1970 wurde noch Tochter Renata Eleonora in Swasiland geboren, 1974 Viktoria Jadwiga. Reck war Dozent in Johannesburg, kehrte aber 1970 nach Deutschland zurück und studierte bei Joseph Beuys in Düsseldorf. Damit landete er in der Höhle des Kunst-Löwen. Fünf Jahre lang hielt er das aus, als Kunstlehrer. Dann packte er endgültig, verkaufte das Haus auf dem Rhen, kaufte sich einen Lotsenkutter, den er zum Segelschiff für die ganze große Familie umbaute, taufte ihn "Inopoleku - Nimm es nicht schwer" und segelte nach Swasiland. Mit seiner Ehefrau, einer Webmeisterin, gründete er dort eine Weberei. Er zeichnete die Entwürfe, sie webte, und die Familie war rasch angesehen in dem so ganz anderen Land.

Erst 2003 kam das Ehepaar Reck zurück. Die acht Kinder waren inzwischen erwachsen. Seit 2006 hat ein Atelier im Künstlerhaus Sootbörn in Hamburg-Niendorf, seit fünf Monaten lebt er wieder auf den Rhen. Doch inzwischen ist er unbekannt im eigenen Land, seine Kunst erst recht.

"Ich habe ein Bild von Albert Reck in einer Ausstellung einer Sparkasse entdeckt und war sofort fasziniert", sagte Angelika Dubbern von der Galerie Sarafand. Sie forschte und wurde fündig. Das Bild zeichnete Reck für Uwe Jansens Vater, der als Arzt seiner erkrankten Tochter Genoveva half. Reck schenkte das Bild Jansen Senior. Aus Dankbarkeit.

Jetzt ist es wieder in Uwe Jansens Besitz, der eine Reck-Ausstellung für das Forum Henstedt-Ulzburg in der Kulturkate am Beckersberg organisiert.

Auch Jürgen Knaack, ehemals Redakteur des Kunst-Magazins "Art", setzt sich auf Recks Spuren. "Ich habe noch nie ein Werk von so gleichbleibender Qualität über so viele Jahre gesehen", sagt Knaack. Jetzt erforscht er die Biografie Recks. "In seinem Atelier gibt es unzählige Bilder, und auch in seinem Haus in Swasiland sind noch Hunderte von Werken", sagt Knaack, der Reck auf eine Linie mit Pablo Picasso stellt. Knaack möchte das Reck-Werk aus Swasiland auf den Rhen holen, doch das Geld für den Transport fehlt.

"Albert Reck hat sein eigenes Bild-Universum, da gibt es keine Spitzen, aber auch nichts Minderwertiges, und das ist sehr selten", sagt Knaack. Die Recksche Bildsprache hätte sich von ersten Kindheitszeichnungen bis ins hohe Alter gehalten, variiert durch die Einflüsse des Lebens, durch ein Leben zwischen dem Rhen und Swasiland. "Ich habe als Kind in Oberschlesien in der Ackerfurche gelegen und dem Himmel nachgeschaut, das ist in meinen Bildern wieder zu sehen", sagt Reck und seine Augen blitzen vor Vergnügen. Lag er vielleicht nicht allein in der Ackerfurche? Kein Kommentar.

Keine Spur von Alter, der 90-Jährige ist fit und ganz in Gedanken bei sich und seiner Malerei. Auch die Gemeinde Krappitz hat ihn entdeckt und will seine Bilder ausstellen. "Kunst und Kultur sind der Bodensatz meines Lebens", sagt Reck. Fit hält ihn auch sein Temperament. Wenn er erzählt, dann gesten- und bildreich: "Ich rege mich gern auf, aber den hohen Blutdruck hat meine Frau", sagt er und testet die Wirkung seiner Worte mit kleinen flinken Blicken zu den Gesprächspartnern.

Albert Reck hat die Stationen seines Lebens gemalt, und so kommt es, dass viele Ansichten aus Henstedt-Ulzburg und Umgebung, beispielsweise aus Wilstedt, von den Alsterbrücken, aus dem Alstertal, vom Haidbarg und vom Henstedter Dorfteich, aus den Kartoffelfurchen und vom Garbenfeld in den Ausstellungen zu sehen sind. Die Serie, die er 1982 seiner Tochter Renata zum zwölften Geburtstag in Swasiland widmete, setzen den norddeutschen Motiven afrikanische Farben, Formen und Licht auf. Wie viele Maler ist auch Reck ein Autor, hat über die Renaissance geschrieben und über die Natur, so 1961 "Die kleine Naturkunde", erschienen im Hamburger Hans Christians Verlag, natürlich von Reck bebildert.

"Ich bin nicht genial", sagt Reck noch einmal, "ich nenne meine Bilder einfältig." Er arbeite schöpferisch, immateriell und materiell zugleich. Mit dem Falten eines Papierblatts zeigt er seine Deutung von Einfalt, zeigt mit dem Falten von Horizontalen, Vertikalen und Diagonalen, dass ein Blatt Papier eben doch mehr beansprucht als den tatsächlichen Raum, das von Einfalt ein Zauber ausgeht, der Zauber der Klarheit, der Einfachheit, in der doch letztlich die Genialität wohnt. Auch, wenn er das nicht will. "Offen und frei wie der Wind" ist Albert Christoph Reck auch noch mit 90 Jahren.